Jüdisches Leben in und um Breslau

Schon im frühen 13. Jahrhundert siedelten die ersten Jüdinnen und Juden nach Breslau. Nach einer wechselvollen Geschichte blühte die jüdische Gemeinde in der Mitte des 18. Jahrhunderts auf[1].
Vor allen das 19. und die frühen Jahre des 20. Jahrhunderts brachten viele Gelehrte, Rabbiner und Schriftsteller hervor. Einer von ihnen war Ferdinand Johann Gottlieb Lassalle. Er wurde am 11. April 1825 geboren. Lassalle war Schriftsteller und Politiker im „Deutschen Bund“, sowie Präsident und Hauptinitiator des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV). Dieser wurde 1863 gegründet. Er gilt als der Begründer der deutschen Arbeiterbewegung und zählt zu den Gründervätern der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands[2]. Seine Idee des Sozialismus war preußisch-nationalstaatlich und genossenschaftlich orientiert.

Ein Aufschwung der kulturellen jüdischen Aktivitäten fand nach dem ersten Weltkrieg statt. In dieser Zeit wurden zwei konservativ ausgerichtete Schulen errichtet. 1921 eine jüdische Elementarschule und 1923 ein Realgymnasium[3]. Außerdem eröffneten 1930 ein Altenheim und ein Jugendinstitut. In Breslau wurden zwei Jüdische Zeitungen herausgegeben.  Die „Jüdische Zeitung für Ostdeutschland“ erschien von 1895 bis 1937, das „Breslauer Jüdische Gemeindeblatt“ von 1924 bis 1938[4].

Bis 1938 gab es zwei große Gemeindesynagogen[5] sowie weitere kleinere Synagogen in Breslau. Viele befanden sich  am ehemaligen „Karlsplatz“, der früher „Jüdischer Platz“ hieß. Dieser Platz wurde Ende der 1940er Jahre in „Platz der Helden des Ghetto“ umbenannt. Bis auf die „Storch Synagoge“[6] wurden alle anderen Synagogen sowie Schulen zerstört. Ab Sommer 1943 wurde der Friedhof auf dem „Großen Anger“ entweiht. Durch diesen wurde die Bahnhofstraße gebaut.

Beginn des Antisemitismus

1925 lebten etwa 23.240 Jüdinnen und Juden in Breslau, 1939 waren es nur noch 10.309.

Bis zum Jahr 1935 gab es nur sehr wenige Anzeichen für Antisemitismus. Jedoch gab es auch Schändungen von jüdischen Friedhöfen, Überfälle auf Jüdinnen und Juden und die „Ritualmordlüge“. Oft wurden Mitglieder der jüdischen Gemeinde, der Minderheit im damaligen Breslau, unterstellt, dass sie Angehörige der herrschenden Mehrheit ermordet hätten. Das Ergebnis sind Hass und Morde an den Beschuldigten des Ritualmords. Artikel über verschwundene oder tot aufgefundene Kinder wurden stets mit Hinweisen auf das „jüdische Blutritual“ verknüpft. Im Juli 1926 erschien aus Anlass eines Doppelmordes in Breslau ein Heft, das sich ausschließlich mit angeblichen von Juden begangenen Ritualmordfällen befasste. Bis 1929 erschienen mindestens neun Einzelhefte nur zu diesem Thema[7]. Religiöse, staatliche, regionale oder lokale Interessensgruppen setzen den Vorwurf des Ritualmords gezielt für ihre Propaganda ein.

Als am 15. September 1935 die „Nürnberger Gesetze“[8] einstimmig angenommen wurden,  musste jede deutsche Staatsbürgerinnen und jeder Staatsbürger einen Antrag auf einen Personalausweis stellen. In diesem wurde vermerkt, ob diese Person Arier oder Jude ist. Die Mitglieder der jüdischen Gemeinde durften von diesem Zeitpunkt an nicht mehr in „freien Berufen“ praktizieren, sowie bei öffentlichen Ämtern arbeiten.

„Entjudung“ und Vernichtung

Im Frühjahr 1941 wurde der Beschluss zur Räumung der „Judenwohnungen“  durch den Oberbürgermeister Hans Fridrich, Regierungspräsident Georg Kroll und Gauleiter Karl Hanke gefasst[9]. Dies  geschah unabhängig von Berlin. Am 28. Mai 1941 fasste die Gauleitung den Beschluss „Breslau in absehbarer Zeit von Juden freizumachen“[10]Im September des Jahres begann die „Entjudung“ der Stadt. Die Breslauer Jüdinnen und Juden wurden in so genannten „Judenhäusern“ zusammengetrieben. Diese befanden  sich in der „Sonnenstraße“, der „Neuen Graupenstraße“, und der „Wallstraße“[11].
Die Mitglieder der jüdischen Gemeinde wurden außerhalb der Stadt in Sammellagern untergebracht, welche  zynisch als „jüdische Wohngemeinschaften“ bezeichnet wurden. Drei dieser Lager, eines im beschlagnahmten Zisterzienserkloster Grüssau bei Landshut, im ebenso beschlagnahmten Reichsarbeitsdienst-Lager bei Rybnik südöstlich von Brieg und in Tormersdorf bei Görlitz im ehemaligen Rothenburger Brüderhaus „Zoar“, später „Martinshof“, dienten bis zur endgültigen Deportation in Konzentrationslager, als „Aufenthaltslager zur Verwahrung“[12].

Die ersten 130 Breslauer, größtenteils ältere, wohlhabende Jüdinnen und Juden, wurden Mitte Juli 1941 in das Judenlager Tormersdorf[13] deportiert. Diese wurden mit dem Zug aus dem ehemals jüdischen Beathe-​​Guttmann-​​Heim in Breslau nach Rothenburg gebracht. Bis 1943 erhöhte sich die Anzahl der Inhaftierten im Arbeitslager „im Stern“ von Tomersdorf[14] auf 700 bis 750. Diese mussten im Straßenbau, bei der Befestigung des Neiße-​​Flussbetts, im Sägewerk Müller & Söhne in Rothenburg und bei der Christoph & Unmack AG in Niesky arbeiten. 26 von ihnen starben während des Lageraufenthaltes. Anonym wurden Sie auf dem örtlichen Friedhof beerdigt. Im Herbst 1942 wurde das Ghetto aufgelöst. Arbeitsfähige Jüdinnen und Juden wurden nach Auschwitz und Theresienstadt deportiert. Alle anderen wurden in das KZ Majdanek verbracht.

Am 25. November 1941 wurden eintausend Breslauer Jüdinnen und Juden nach Kaunas deportiert. Dort angekommen wurden sie zusammen mit weiteren eintausend Menschen jüdischen Glaubens aus Wien, in Fort IX (Neuntes Fort)[15], bei einer Massenhinrichtung erschossen.
Unter ihnen befanden sich auch der deutsche Historiker und Lehrer Willy Cohn[16] mit seiner Frau Gertrud und seine beiden Töchter, die neunjährige Susanne und die dreijährige Tamara.  Die Tagebücher von Willy Cohn sind heute im „Central Archives for the History of the Jewish People“ in Jerusalem archiviert. Im Dezember 2006 wurden sie als Zeitzeugnis jüdischer Geschichte erstmals veröffentlicht. Cohn dokumentiert darin das Leben im Nationalsozialismus und den Untergang der jüdischen Gemeinde von Breslau und den seiner Familie[17]. Neben Victor Klemperer gilt Cohn als einer der wichtigsten Chronisten der Verbrechen der Nazis an den Juden. Zu seinem Gedenken wurde 2010 am „Großen Ring“ in Wroclaw eine Gedenkplatte enthüllt.

Die in Breslau verbliebenen Mitglieder der jüdischen Gemeinde wurden ab 1942 nach Riga, Sobibor und Auschwitz deportiert. Ab 1943 wurden sie direkt nach Auschwitz gebracht. Dies war das Ende der Jüdischen Gemeinde von Breslau. In den Jahren 1940 bis 1943 begingen einhundertacht Mitglieder der jüdischen Gemeinde Selbstmord. Damit wollten sie der Deportation entgehen. Als am 16. Juni 1943 der Gemeindevorsteher Kohn, seine Familie und das übrige Krankenhauspersonal des jüdischen Krankenhauses an der Wallstraße deportiert wurden, waren von der einst drittgrößten jüdischen Gemeinde nur noch wenige Partner aus gemischten Ehen und einige weinige Kinder übrig.

Eines der größten Zentren jüdischen Lebens, die drittgrößte jüdische Gemeinde Deutschlands mit jahrhundertealter kultureller, wirtschaftlicher und europäischer Bedeutung wurde bis 1944 vernichtet. Breslau war somit „judenfrei“. Von den einst über 10.000 in Breslau beheimateten Jüdinnen und Juden überlebten nur 38 den Lageraufenthalt in  Auschwitz.

Und heute?

Nach dem Ende des 2. Weltkrieges entstand eine neue jüdische Gemeinde, die jedoch nicht an die Traditionen der ehemaligen Gemeinde anknüpft.

Die „Storch Synagoge“, welche als einzige der Zerstörung durch die Nazis entging, und ein 1902 angelegter Friedhof werden bis heute genutzt.

Wkład do polskiej

Příspěvek do češtiny


[1] http://www.breslau-wroclaw.de

[2] http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.ferdinand-lassalle-der-salonloewe-der-die-spd-erfand.1d922778-af6a-42c2-ba64-2690b04d363a.html

[3] Brenner, Michael: Jüdische Kultur in der Weimarer Repbublik. C.H.Beck, München, 2000.

[4] Jessen, Dr. Hans: Jahrbuch der schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau. Duncker&Humblot, Berlin 1973

[5] http://www.breslau-wroclaw.de/de/breslau/history/jk_synagogen/

[6] http://www.breslau-wroclaw.de/de/breslau/history/jk_storch/

[7] Dennis E. Showalter: Little man, what now? Der Stürmer in the Weimar Republic. Archon Books, 1982, ISBN 0-208-01893-X, S. 257.

[8] http://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/68999/1935-nuernberger-gesetze-treten-in-kraft-14-09-2010

[9] Bräu, Ramona: „Arisierung“ in Breslau – Die „Entjudung“ einer deutschen Großstadt und deren Entdeckung im polnischen Erinnerungsdiskurs. Magisterarbeit. Weimar 2006

[10] Geheimer Vermerk des Regierungspräsidenten vom 30.5.1941. (APW, RW Nr. I/ 9979, Bl. 4ff.)

[11] V.Rahden, Till: Juden und andere Breslauer. Die Beziehungen zwischen Juden, Protestanten und Katholiken in einer deutschen Großstadt von 1860 bis 1925, Vandenhoeck&Ruprecht, Göttingen 2000, s. 143ff

[12] Gruner, Wolf: Jewish Forced Labor under the Nazis. Economic Needs and Racial Aims, 1938-1944, Cambridge. S. 65ff

[13] http://hospi30.de/zeitenspruenge/page970c.html?p=25

[14] Gruner, Wolf: Öffentliche Wohlfahrt und Judenverfolgung. Wechselwirkung lokaler und zentraler Politik im NS-Staat (1933-1942). Institut für Zeitgeschichte. Oldenbourg. 2002

[15] http://www.memorialmuseums.org/denkmaeler/view/69/Museum-und-Gedenkst%C3%A4tte-IX.-Fort

[16] http://www.holocaustliteratur.de/taetigkeiten/veroeffentlichungen/rezensionen/willy-cohn.html

[17] http://lernen-aus-der-geschichte.de/Lernen-und-Lehren/content/4091

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